1500 Kilometer im Sattel durch Chile
Was mit dem Pferd wollen sie 1000 Kilometer durch Chile reiten?! Sie müssen verrückt sein, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. Ich rief im österreichischen Außenministerium an, um die Adresse der österreichischen Botschaft in Santiago zu bekommen. So oder ähnlich dachten fast alle Leute und Freunde, denen ich von meinem Vorhaben erzählte. Warum reiten? Warum von Santiago bis Puerto Montt? Meine Freundin in Puerto Montt könne ich ja wohl auch mit dem Flugzeug erreichen, sagten viele. Nein (sagte ich), ich wollte reiten. Wollte etwas Verrücktes machen, und nun habe ich den ersten Schritt getan. Ich bin in Chile gelandet. Am Anfang einer Reise, die zu einem der größten Abenteuer meines Lebens werden sollte. Wer heute an Chile denkt, denkt an die Atacama, die große Wüste im Norden, oder an Torres del Paine, den herrlichen Nationalpark im Süden. Den Osorno am Lago Llanguihue oder den Fischmarkt von Puerto Montt. Nur wenige kennen die Gegend zwischen Santiago und Puerto Montt. Doch auch hier hat dieses faszinierende Land, das sich über 4000 Kilometer vom Norden nach Süden erstreckt und doch manchmal nicht breiter als 200 Kilometer ist, einiges zu bieten. Diesen unbekannten Streifen Land zwischen Santiago und Puerto Montt wollte ich mit dem Pferd für mich erforschen. Die österreichische Botschaft in Santiago war mehr als hilfsbereit. Der Botschafter Dr. Rennauer und seine Mitarbeiter waren von meiner Idee begeistert. Sie halfen mir, wo sie nur konnten. Über Delphin, den Fahrer der Botschaft konnte ich ein Pferd kaufen. Einen schwarzer Wallach. Ein Kreole, wie er typisch ist, hier in Chile. Ich taufte in Amigo. Ich gebe zu, nicht sehr einfallsreich, doch einen Freund konnte ich auf dieser Reise aber wirklich brauchen. Und so stieg ich am 14. Dezember in Marchihue (südwestlich von Santiago, wo ich Amigo erstand) in den Steigbügel, zog meine Baseballkappe tief ins Gesicht um mich vor der brütenden Hitze ein wenig zu schützen, warf einen letzten Blick zurück nach Norden und dieses phantastische Abenteuer konnte beginnen. Am ersten Tag ritt ich gerade mal 10 Kilometer weit. Mein Gepäck, das ich in Form eines Rucksackes hinter dem Sattel quer über verstrebt hatte, machte sich immer wieder selbständig und so mußte ich öfters stehen bleiben, um es neu zu versorgen. Die Landschaft hier in Zentralchile war sehr karg und trocken. Ähnlich dem südlichen Mittelmeerraum. Erschwerend kam noch hinzu, daß es letzten Winter kaum geregnet hatte. So waren mächtige Flüsse zu kleinen Tümpeln verkommen. Und ich hatte manchmal Schwierigkeiten, genügend Wasser für mein Pferd zu bekommen. Die Landschaft war trotz der Hitze phantastisch. Endlose menschenleere Sandstraßen, wo nur alle paar Kilometer eine kleine Farm war. Übernachtet habe ich meist auf einer Weide wo ich entweder nur neben dem Feuer schlief oder mein kleines Zelt aufbaute, welches sich allerdings noch als völlig ungeeignet erweisen sollte. Ich ritt immer bis mittags, dann sattelte ich mein Pferd ab und versorgte es. Nach ca. zwei Stunden Pause ritten wir dann immer bis in den Abend hinein. Was bedeutete zwischen 8-12 Stunden am Tag im Sattel und Zurücklegen von 45-53 Kilometer. Futter kaufte ich immer unterwegs bei Bauern oder Händlern. Immer gerade für einen Tag. Denn ich hatte kein Packpferd und konnte ein Limit von 100 Kilo nicht überschreiten, was sich manchmal aber nicht verhindern ließ. Schließlich war ich wahrscheinlich der Erste, der so eine lange Strecke mit nur einem Pferd versuchte.
Einmal pro Woche versuchte ich in einer Pension zu übernachten, wo ich auch meine Kleidung waschen lassen konnte. Ein paar Grundstandards der Hygiene wollte ich doch beibehalten. Schier unendliche Weiten galt es zu durchreiten. Ich ritt von Marchihue nach Süden zum Lago Vichuquen (ein See der in einem grünen Tal lag, das mich an Alice im Wunderland erinnerte) den ich 4 Tage später erreichte. In diesen 4 Tagen sah ich nur wenige Autos und wenige Menschen. Hier gab es keine Touristen und die Leute lebten einfach und doch glücklich und ihre Hilfsbereitschaft stand über allem. Das konnte ich immer wieder feststellen. Und auch blankes Entsetzen mußte ich erfahren. Eines Nachts löste sich der Knoten mit dem ich Amigo an einen Baum festgebunden hatte. Als ich aus dem Zelt sah, sah ich wie er sich aus dem Staub machte. Ich rannte in Stiefel und Unterhose hinterher. Ein Bild für Götter, allerdings vergeblich. Er verschwand in der Nacht. 6 Stunden mußte ich ihn Tags darauf suchen, mit Hilfe eines Bauern. Wir fanden ihn in der Carabinieristation, wo er am Tags zuvor Hafer bekam. Doch diese 6 Stunden waren die Hölle für mich.. So erreichte ich nach 4 Tagen und den ersten Aufregungen Vichuquen, wo ich wie ein Triumphator in die kleine Stadt einritt. Von 50 Menschen umringt, die alle den Gringo sehen wollten, der durch ihr Land ritt. Hier konnte ich auch mich und meine Wäsche wieder einmal so richtig waschen. Eine wahre Wohltat. Tags darauf ging es weiter über die ersten steilen Anhöhen nach Licanten, wo ich den ersten intensiven Kontakt mit den einheimischen Nationalgetränk Pisco (klarer Weinbrand) hatte. Nach zwei Gläsern konnte ich nicht mehr aufs Pferd steigen. 4 Tage später gelangte ich über eine alte Fähre, die mein Amigo nur unwillig bestieg, über den Rio Maule nach Constitution, der ersten größeren Stadt mit ca. 10 000 Einwohnern, wo man mich im hiesigen Rodeoclub herzlichst empfing und ich auch gleich zu einer Party eingeladen wurde. Die Chilenen, die mir auf dieser Reise begegneten waren alle begeistert von meinem Vorhaben, mit dem Pferd durch diese unbekannte Ecke des Landes zu reiten. So auch die Leute im Rodeoclub von Constitution. Sie lauschten neugierig meinen Erzählungen, den Abenteuern die ich bisher erlebte hatte. Erst gegen 3 Uhr früh ließ ich mich erschöpft und ein wenig berauscht vom Wein auf meinem Schlafsack nieder. Am nächsten Tag sah ich mir Constitution an. Was ich sah, begeisterte mich weniger. Constitution war eine Industriestadt mit ca. 20000 Einwohnern, was für chilenische Verhältnisse schon viel war. Die Stadt lebte von einem großen Zellulosewerk, dessen Gestank über der gesamten Region hing. Doch auch Freudiges erwartete mich hier. Zum ersten Mal seit 3 Jahren war ich wieder am Pazifik – vor drei Jahren in San Francisco als gewöhnlicher Tourist, und jetzt hier in Chile als Abenteurer. Der Sprung könnte nicht größer sein. Ich liebe das Meer, und der kühle und salzige Wind füllte meine Energiebatterien in meinem Körper wieder vollends auf. Weihnachten verbrachte ich in Pelluhue, einer kleinen Stadt am Meer. Herrlich war es hier. Freundliche Leute, ein schöner, schier endloser Sandstrand und 30 Grad im Schatten. Was wollte ich mehr. Amigo und ich kamen in einer kleinen Pension unter. Ich bekam ein kleines Zimmer und Amigo durfte am Parkplatz der Pension bleiben. Die Vegetation hatte sich schon merklich geändert. In Santiago und Umgebung heiß und karg, war die Umgebung hier durch riesige Pinien und Eukalyptuswälder geprägt, der Haupteinnahmequelle in dieser Region. Hier war das Klima schon etwas milder. Es ist als ob man eine Reise in Süditalien anfängt und über die Farbenpracht der Toscana die Wälder Osttirols erreichen würde.
Von jetzt an ging es 100 Kilometer am Pazifik entlang. Die Küstenberge schienen an manchen Stellen bis in den Pazifik zu reichen, so zerklüftet und wild sah es manchmal aus. Gelegentlich gesellte sich ein Landarbeiter zu mir und wir ritten einige Kilometer gemeinsam, denn hier hatten die Leute eher Pferde als Autos. Schließlich konnte man um 500 Dollar ein Pferd erstehen. Ein Auto würde ein vielfaches kosten. Ein unbeschreibbares Gefühl der Freiheit durchströmte meinen Körper, als ich hier ritt. Links die herrlich sanft grünen Hügeln der Cordillera de Costa“, vor mir eine kleine Sandstraße die sich durch die Hügeln schlängelte, und rechts die unendliche Weite des Südpazifiks. Hier vergißt man alle Probleme der Zivilisation, ja man vergißt sogar Europa mit seinen vielen Menschen, Autos und Fabriken. Hier genießt man noch die Natur, wie sie vor ein paar hundert Jahren in Europa ausgesehen haben könnte. Hier gibt es nur wenige Menschen und mit etwas Glück sieht man ein paar Seehunde im Pazifik schwimmen. Wo gibt es das noch in Europa? Chile, ein Land wie ein Paradies. Silvester wollte ich bei einem Freund in Lircen verbringen, doch ein schwerer Rückschlag vereitelte dies. Mein Pferd hatte in einer Bäckerei, bei Freunden die mich einluden, Weizen gefressen. Als ich es merkte, war es schon zu spät. Ich versuchte noch bis zum nächsten Tierarzt zu gelangen, doch kam ich nur bis Lircen. Dort war die Reise für meinen Freund zu Ende. Die Carabinieri verständigten noch einen Tierarzt von Conception, der zweitgrößten Stadt des Landes nur 16 Kilometer entfernt. Ein ehemaliger Jockey aus Santiago namens Domingo wohnte in der Nähe der Carabinieristation. Er bot mir, an meinen Amigo in seiner Garage unterzustellen. Er verlor sehr viel Flüssigkeit und mußte warmgehalten werden. Domingo und der Tierarzt meinten es würde nicht so schlecht um meinen Amigo stehen. Dr. Torres gab ihm zwei Injektionen und sagte, wir werden sehen wie es ihm am nächsten Tag gehen würde. Die Familie von Domingo lud mich auch zu der Silvesterfeier ein. Um Mitternacht gingen die Leute in der kleinen Stadt von einem Nachbarn zum anderen, umarmten sich und wünschten sich ein fröhliches neues Jahr. Die Kinder verbrannten Strohpuppen, die an Querstangen hielten, um das neue Jahr willkommen zu heißen. Die Familie kam anschließend zusammen und ich konnte meinen Kummer ein wenig im Alkohol ersäufen. Trotz der widrigen Umstände war es eine meiner eindrucksvollsten Silvesterfeiern. Trotz der Armut der Leute ließen sie mich an allem teilhaben. In einem Haus, das eigentlich nur aus drei Räumen bestand, die dann noch unterteilt waren. Hier lebten drei Generationen zusammen. Wo gibt es das noch? Ich schwankte erheblich, als ich gegen 3 Uhr nach meinem Amigo sah. Es ging ihm schlechter. Ich versuchte ihn noch 30 Minuten zu bewegen, dadurch könnte sich vielleicht die Darmverschlingung (Kolik) lösen. Doch Amigo hatte große Schmerzen, und mir zerriß es das Herz, als ich sah wie er sich plagte und ich ihn trotzdem zwang, sich zu bewegen. Anschließend versuchte ich auf Anraten Domingos ein wenig zu schlafen. Ein paar Stunden später, um 7 Uhr, weckte mich Domingo. Amigo ging es schlechter. Ich rief sofort den Tierarzt in Conception an. Er versprach, sofort zu kommen. Ich wußte längst, was er mir sagen würde. Amigo würde sterben. Ich bat den Tierarzt ihn von seinen Schmerzen zu erlösen, doch er hatte kein Mittel dabei. Er mußte es erst besorgen. Amigo war inzwischen wahnsinnig vor Schmerzen. Immer wieder versuchte er, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Das Blut rann ihm über sein Gesicht. Er starb wenig später einen qualvollen Tod, noch bevor der Tierarzt mit der Spritze kam.
Noch nie in meinem Leben fühlte ich so einen großen Schmerz in meiner Brust, als ich weinend den Kopf meines sterbenden Freundes hielt. 483 Kilometer trug er mich durch Chile. Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Erbrochenen. Ich hatte allerdings noch Glück im Unglück. Ich bin nach vorne gefallen, und so konnte ich daran nicht ersticken. Ich wußte auch nicht, wie lange ich bewusstlos war. Als der Tierarzt mit den Carabinieri eintraf, war ich wieder bei Bewußtsein. Sie organisierten den Abtransport meines toten Freundes. Ich saß apathisch am Straßenrand und wollte nur noch nach Hause. Dr. Torres lud mich zu seiner Familie ein. Ich solle dort ein paar Tage verbringen, bevor ich zurück fliegen würde. Ich verbrachte eine Woche bei Dr. Torres in Conception. Er und seine Familie konnten mich wieder seelisch aufrichten. Vor allem Chispie, seine Tochter. Wieder einmal lagen extreme Gefühle dicht nebeneinander. Tod, Trauer, Verzweiflung, Hoffnung, Liebe und Zuversicht. Wahrlich ein Abenteuer. Nein ich wollte und konnte nicht aufgeben. Ich wollte diese Reise bis nach Puerto Montt durchziehen. Für Amigo. Hier in Conception gab es allerdings keine Pferde. Hier wohnten 300000 Leute. Jede Menge Industrie, Schifffahrt und Handel, aber keine Pferde. So bestieg ich am 7 Jänner 1997 den Bus nach Temuco, ca. 200 Kilometer entfernt, mitten ins Indianerland. Dort, so sagte Dr. Torres, würde ich bestimmt ein Pferd bekommen und er gab mir auch gleich eine Adresse eines Freundes von ihm, Dr. Krause. Er und seine Frau umarmten mich noch herzlich, und dann war ich auf den Weg nach Temuco. In Temuco angekommen wandte ich mich gleich an Dr. Krause, der mich auch am nächsten Tag empfing und mir versicherte, er würde ein geeignetes Pferd für mich finden. In der Zwischenzeit verbrachte ich einen Tag in seiner Ordination und konnte auch seiner Frau, die ebenfalls Tierarzt war, bei der Behandlung ihrer Patienten zusehen. Ihre Patienten waren Hunde, Katzen, Pferde und Lamas. Auch Kühe wurden versorgt. Als sie zu einem Notfall gerufen wurde und ich mitdurfte, konnte ich bei einem Kaiserschnitt einer Kuh assistieren. Ein wahrhaft einmaliges Erlebnis. Was würde ich noch alles auf dieser Reise erleben, dachte ich mir. Tags darauf sah ich mein neues Pferd. Ein kräftiger Brauner. Er gehörte zu einer riesigen Farm, die der Doktor betreute. Für 500 Dollar erstand ich ihn. Die Reise konnte jetzt weiter gehen. Ich ritt durch das Indianerland Richtung Westen. Mapuche heißen die Indianer in Chile. Sie gelten als sehr kämpferisch und widerspenstig. Sie sind die einzigen Indianer, die bisher keinen Krieg verloren haben. Die Chilenen schlossen 1860 einen Waffenstillstand in Temuco. Ein Denkmal zeugt heute noch davon. Die Mapuche sind ein sehr stolzes Volk. So ritt ich 10 Tage durch dieses Land, hatte viele interessante, lustige und lehrreiche Begegnungen, z.B. mit einem deutschen Missionar, der eigentlich aus Bayern stammte und auch so aussah. (190 groß und ca. 125 Kilo schwer), er war schon seit 37 Jahre in diesem Land. Gemeinsam mit jungen Mapuche war ich an einem Seitenarm des Rio Imperials zelten. Vorbei am Lago Budi dem einzigen Sazlwassersees Südamerikas. Über Bahnschienen, die längst aufgelassen waren und im Nirgendwo endeten. Wieder am Pazifik entlang über einen schier endlosen Anstieg in Queule in die 10. Region nach Mehuin, dem schönsten verträumten Ort, den ich in Chile sah. Direkt am Pazifik gelegen, vom Wochenendtourismus aus der 80 Kilometer entfernten Stadt Valdivia lebend. Mit einigen fast kitschigen kleinen Fischrestaurants, die herrlichen Fisch verkauften. Einer herrlichen Bucht. Ich konnte mein Zelt direkt am Strand aufbauen. Galoppierte ohne Sattel am Strand entlang, sog die salzige Luft in mich hinein und genoß den Tag, den ich mich hier auhielt.
2 Tage später stand ich wie einst Hannibal vor den Toren Valdivias. Die schönste Stadt in Chile. Dr. Iampaglia, Österreichischer Konsul in Chile, wohnte in Valdivia. Er war von der österreichischen Botschaft in Santiago über mein Kommen informiert worden. Er vermittelte mich an einen Freund, Dr. Romeny dieser besaß ein riesiges Campo vor Valdivia, wo er mir anbot, mein Pferd für die Dauer meines Aufenthaltes in Valdivia zu versorgen. Auch die Presse erwartete mich in dem wundervoll inmitten von Sümpfen gelegenen Herrenhaus. Nach schier unendlichen Fragen und ein paar Fotos fuhr mich Dr. Iampaglia nach Valdivia, wo er mir behilflich war, endlich zu Satteltaschen zu kommen, welche extra nach meinen Plänen und Zeichnungen genäht wurden. Allerdings dauerte dies eine Woche. Ich nutzte die Gelegenheit und kaufte ein neues Zelt und einige andere Ausrüstungsgegenstände, die ersetzt werden mußten. Die Woche Valdivia kostete mich auch eine Menge Geld. Brauchte ich auf der Tour ansich nur umgerechnet 15 Dollar pro Tag, so kostete mich eine Woche Valdivia gut 400 Dollar. Allerdings beinhaltete das auch die ersetzten Ausrüstungsgegenstände. Die Satteltaschen kosteten mich 110 Dollar, noch immer wenig im Vergleich zu dem, was ich in Österreich für die Dinger zahlen müßte. Astrid und Michael, die ich von Santiago kannte, besuchten mich in Valdivia. Michael, der für eine deutschsprachige Zeitung schrieb, konnte jetzt endlich Fotos von mir machen und seine Story über mein Abenteuer schreiben. Astrid kannte ich aus der Botschaft. Ich freute mich ebenfalls, sie zu sehen. Wir verbrachten ein paar schöne Tage mit viel Spaß in Valdivia. Eine Stadt, die immer noch von einem schweren Erdbeben gekennzeichnet war, welches 1960 stattfand. Damals sank die Erde um einen Meter ab, was zur Folge hatte, daß riesige Sümpfe entstanden. Etliche Ruinen zeugen immer noch von der Schwere des Bebens, von dessen wirtschaftlichem Schlag sich die Stadt bis heute nicht mehr richtig erholt hatte. Eine Woche später saß ich wieder im Sattel und überquerte die Cordillera de Costa in Richtung Osorno. 5 Tage später und nach 1000 Kilometern erreichte ich mein ursprüngliches Ziel, den Lago Llanquihue kurz vor Puerto Montt. Ich fühlte irgendwie eine Leere in mir. Meine Freundin, die ich traf, konnte mich auch nicht aufbauen. Im Gegenteil, sie erzählte mir, daß sie mich eher nicht mehr sehen will. War irgendwie nicht mein Tag, dachte ich. Machete konnte ich bei einem Bauer unterbringen. Ich wollte noch nicht nach Hause. Doch wollte ich auch nicht mehr nach Süden. Obwohl erst Anfang Februar, also Sommer, war es hier empindlich kalt. Also wohin dachte ich?
Ich fuhr mit dem Bus zurück nach Valdivia. Ich hörte, daß in der Nähe von Pucon eine Farm lag, wo man Ritte in die Anden machen konnte. Ich mietete mir einen Wagen und fuhr dorthin. Schon auf der Fahrt sah ich die Schönheit der Anden. „Rancho de Caballo“ hieß die Farm, die von dem deutschen Aussteigerehepaar Wolfgang und Christa aufgebaut wurde. Auf 800 Meter Höhe, am Fuße der Anden inmitten von 3 Vulkanen lag dieses Paradies. Nach 3 Tagen wußte ich, daß ich diese Gegend mit meinem Pferd erkunden wollte. So ließ ich um 200 Dollar mein Pferd vom Llanghihue hierher transportieren und konnte am 7. Februar meinen Machete wieder satteln und aufsitzen. Was ich dann sah, war unbeschreiblich. Durch riesige Araukarienwälder, mit Riesen bis zu 50 Meter, die unbesehen 1000 Jahre am Buckel hatten, hinauf durch die Regenwälder, die so dicht sind, daß man keine 2 Meter neben dem Weg gehen konnte, aufs Altiplano (der Hochebene). Weiter durch Lavafelder, mit schroffen und teilweise messerscharfen Steinen. Hinauf bis zu den Schneefeldern des Gletschers, des „Mocho“, wie der Vulkan Quetrupillan in der Sprache der Mapuche heißt. Steil bergauf und steil bergab. Unglaublich, was mein Pferd leistete. Selbst als wir im dichten Wald in morschen Stämmen einbrachen oder im Sumpf bis zum Bauch einsanken, konnte ich mich auf ihn verlassen. Noch nie hatte ich solch ein Pferd kennengelernt. Ich bin ihm zu tiefem Dank verplichtet. Atemberaubend auch die Schönheit der Natur hier. Hier sieht man keine Zeichen einer Zivilisation soweit das Auge reicht. Täler, die nur aus Wäldern bestehen. Alte Schmuggelpfade nach Argentinien. Glasklare Lagunen, „Laguna Azul“ (Blaue Lagune). Natur pur! Insgesamt 6 Wochen befand ich mich in diesem Paradies. Das Campo galt dabei als Ausgangsbasis für meine Erkundungen. Eine eigene Wasserturbine erzeugte Strom für die kleinen Häuschen des Campos. Es gab immer warmes Wasser, und Christas Essen gab immer wieder Kraft für neue Abenteuer. Hier sah ich den Kondor, den König der Anden. Pumaspuren an einer Furt. Und ein unendliches Gefühl der Freiheit und der Lebensintensität durchströmte, meinen Körper als ich eines Tages auf ca. 1800 Meter Höhe am Morgen aus meinem Zelt stieg. Unten im Tale sah ich dichten Nebel in den Regenwäldern und im gleichen Moment mühte sich die Sonne über die argentinischen Anden, um auch die Chilenen mit Wärme zu stärken. Wie in einem Märchen der einsame König, so fühlte ich mich, als ich diese Szenerie beobachtete, mit der Gewissheit, im Umkreis von etlichen Quadratkilometern der einzige Mensch in dieser noch unberührten Natur zu sein. Noch nie sah ich so wenige Menschen, in einem so großen Land, mit so unterschiedlicher Vegetation, in so kurzer Zeit. Nach 6 Wochen und 500 Kilometer Andenritt, die mich dicht an die argentinische Grenze führte. Nach insgesamt 20 Wochen Chile und 1500 Kilometern im Sattel, und nach einer letzten 4 Tagestour, wo mich am letzten Morgen schon schwerer Frost empfing, nach einem wunderschönen Sonnenaufgang in den Anden, wo sich das Morgenrot herrlich auf dem Gipfel des Villarica (ein ständig aktiver Vulkan ,der immer raucht) spiegelte, hieß es Abschied nehmen. Machete konnte ich auf dem Campo unterbringen, wo er den Winter über gut verpflegt wird. Ich wußte, daß ich hier noch einmal herkommen würde, um ein neues Abenteuer zu beginnen. Denn hier muß man einfach einmal in seinem Leben herkommen, um diese letzte unberührte Natur zu erleben. Einfach die Zivilisation hinter sich lassen. Einfach die Natur intensiv erleben. Einfach in den Sattel steigen und los reiten. Alles hinter sich lassen, um vieles neu kennenzulernen. Nicht zuletzt sich selbst. Hier in den chilenischen Anden, zwischen dem Kondor und dem Puma. Ein letztes Stück unberührte Natur. Ich komme wieder, das wußte ich, als ich am 20 März in die Maschine nach London stieg. Ich hatte feuchte Augen. Soviel hatte ich erlebt. Vor allem meinem Pferd konnte ich nicht genug dankbar sein.
Meinem Amigo, dem ich dieses Abenteuer widme, und meinem Machete, der mich selbst in unwegsamsten Gelände nie im Stich ließ und immer ruhig blieb. Ihnen gilt mein größter Dank. „Hasta luego“ in Chile!